Stille Nacht – gestört vom Schrei eines Neugeborenen. So ist das, wenn ein Kind zur Welt kommt. Der erste Atemzug wird – nach Leben gierend – begleitet von einem Schrei. Auch dem, den die Christen als menschgewordenen Sohn Gottes verehren, erging es wohl nicht anders. Ein Schrei ist das erste, was man von diesem Kind vernimmt; ein Schrei, der die Stille der Nacht stört.
Dieser in Bethlehem geborene Jesus von Nazareth stört auch sonst. Wenige Tage später wird man ihn als Erstgeborenen, wie es das jüdische Gesetz erfordert, in den Tempel bringen, um ihn Gott zu weihen. Dort werden seine Eltern dem greisen Simeon begegnen, der voraussagt, dass durch diesen Menschen viele zu Fall kommen, viele aber auch aufgerichtet werden; vor allem wird man ihm widersprechen. An diesem Jesus von Nazareth werden sich die Geister scheiden. Und sie scheiden sich bis heute.
In diesen Tagen feiern wir das Fest der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth. Der Gedanke an die Menschwerdung Gottes ist an sich schon eine intellektuelle Herausforderung. Nicht wenige können sich das, aus welchen Gründen auch immer, nicht vorstellen. Für Christen ist er grundlegend: Gott ist nicht fern der Welt. Er steht der Welt nicht gegenüber. Er ist in der Welt gegenwärtig, die er selbst geschaffen hat. Warum sollte das Gott, dem Allmächtigen, nicht möglich sein?
Ein solcher Glaube aber stört. Wer diesem Glauben folgt, der kann sich eben nicht einfach der Tagesordnung zuwenden. Weil Gott der Welt nicht fern ist, können Christen die Ungerechtigkeiten der Welt eigentlich nicht ertragen. Aber auch Christen neigen dazu, diesen Störfaktor zu zähmen. Und so singen viele in diesen Tagen wieder „Stille Nacht, heilige Nacht“, das in der ersten Strophe mit einem Schlafbefehl endet: „Schlaf in himmlischer Ruh’“.
Nein! Gott schläft nicht. Und der Sohn Gottes in der Krippe auch nicht. Sein erster Laut war ein Schrei, der die stille Nacht störte. Und das ist gut so, heißt es doch in Psalm 8,3: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz.“
Jetzt ist Weihnachten. Es ist also wieder Zeit, aufzustehen und die eingefahrenen Muster zu stören. Anlässe in Stadt, Land und Kirche gibt es ja genug. Feiern Sie Weihnachten!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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